Das Yin-Yang-Symbol (chinesisch Taijitu, die chinesische Monade) gehört heutzutage schon zur Allgemeinbildung. Aus Büchern oder aus der Werbung weiß heute jeder und jede, dass damit irgendwie eine „Einheit der Gegensätze“ gemeint ist. Es gilt als Ausdruck von Harmonie. So klebt es als Klischee auf vielen Produkten, die „Wohlfühlen“ und Ausgeglichenheit versprechen, seien es Tee, Kosmetika, Massagen, Wellness, Bio-Nahrung etc., und natürlich auch Taijiquan. In dieser verkürzten Auffassung ist es zum Symbol lediglich einer Seite des menschlichen Lebens verkommen, nämlich der Ruhe und dem Stillwerden, wie sie allnächtlich an der Reihe ist. Derart missverstanden, wird dann die Bewegungskunst Taiji damit etikettiert und als sanfte Bewegung zur Entspannung (miss)verstanden.
Das Taiji-Symbol hat aber genau genommen eine viel tiefere und dynamischere Bedeutung als nur das bekannte „Wohlfühl-Klischee“....
In der Taiji Akademie veranstalten wir regelmäßig Vorträge im Rahmen der Lehrer- und Kursleiterausbildung, die auch den verschiedenen Spielarten der „Körperarbeit“ gewidmet sind: Feldenkrais, Rolfing, Alexandertechnik, Spiraldynamik. Da wir Taiji auf Grundlage der „Atemtyplehre“ praktizieren, erspüren und begreifen wir Körperarbeit im Allgemeinen über das Paradigma der Prägung durch den individuellen Atemtyp. Spannend ist es daher immer wieder zu sehen, wie jede Methode vom Atemtyp des Begründers geprägt wird. So waren die Genannten allesamt Ausatmer/innen: Moshe Feldenkrais und Ida Rolf, Alexander (nach seinem Bewegungsverständnis zu urteilen) sowie Christian Larsen, der Begründer der Spiraldynamik.
Frieder Anders | Vom Inneren zum Äußeren Taiji – oder: Wie die Innere Kraft verlorenging
Mein Lehrer, Großmeister K.H.Chu, lehrte mich, das „Innere“, ursprüngliche Taiji von „Äußerem“ Taiji zu unterscheiden. Inneres Taiji (Taijiquan) war im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert die berühmteste Kampfkunst in China. Die Kunst bestand darin, nicht zu kämpfen, sondern den Angreifer abprallen zu lassen, ihn zu entwurzeln. In den Äußeren Kampfkünsten ging es dagegen um Schlagkraft und Reaktionsgeschwindigkeit.
Die Attribute Inneres und Äußeres sind, bezogen auf die Kampfkünste, keine Bewertungen, sondern bezeichnen die Art und Weise, wie die Kraft entwickelt und trainiert wird: