Liest man über Taiji, wird da oft über die „Einheit von Körper und Geist“ geschrieben. Gemeint ist offenbar, dass die langsamen und entspannten Bewegungen bewusst – oder wie es heute heißt: achtsam –ausgeführt werden, so dass man sie wahrnimmt, spürt und sich in sie einfühlt. Dass man also die Erfahrung von Ganzheitlichkeit machen kann und nicht den Körper wie ein Instrument vor sich her oder zu Höchstleistungen antreibt. Das ist sicherlich eine befriedigende Erfahrung, weil Geist und Körper entspannen – sonst würden viele Menschen gar kein Taiji betreiben.
Im Inneren Taiji ist das Zusammenspiel von Geist und Körper aber differenzierter. Hier lautet die Maxime, dass der Geist führt, und Qi und der Körper folgen sollen, und das bedeutet, dass die Taijibewegungen vor ihrer Ausführung bereits in der geistigen Vorstellung vorweggenommen werden sollen. Also nicht bloß Spüren oder sich Einfühlenallein in körperliche Vorgänge oder Abläufe sind gemeint, sondern diese sollen vorweg in einer Art Mentaltraining ausgeführt werden.
Frieder Anders | Wu wei, das „anstrengungslose Handeln“
Glücklich die Momente, in denen einem Dinge und Ereignisse entgegenkommen, seien es Menschen, Gegenstände, Eingebungen. So einen Moment erfuhr ich, als ich das Buch des kanadischen Sinologen E. Slingerland las, das mir John aus der Schweiz empfohlen hatte: „Wie wir mehr erreichen, wenn wir weniger wollen“. Darin legt der Autor seine über 20-jährige Beschäftigung mit der chinesischen Lebensmaxime Wu wei, des „anstrengungslosen Handelns“ dar, auch übersetzt mit „das Nichttun tun“. Und was mich gleich ansprach, waren seine Erläuterungen einiger Geschichten des daoistischen Philosophen Zhuangzi, vor allem der Geschichte vom Koch (oder Metzger) des Fürsten Hu, der diesem darlegt, wie er seine Rinder zerlegt und über Jahre sein Beil (oder sein Messer) scharf erhält, ohne es schärfen zu müssen – weil er nicht hackt oder schneidet, sondern die Klinge sich ihren Weg durch die Zwischenräume des Tierkörpers suchen lässt, eben Wu wei praktiziert.
Frieder Anders | Was hat Ausatmen mit Rechtshändigkeit zu tun? Nichts. Oder?
„Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen“ (chinesisch)
Stellen Sie sich vor, Sie wollen eine neue Sprache erlernen, natürlich nicht nur sie sprechen, sondern auch schreiben können. Sie gehen in eine Sprachschule, belegen einen Kurs, aber gleich in der ersten Stunde wird Ihnen gesagt, mit welcher Hand sie schreiben sollen: nur mit der linken. Eigentlich schreiben Sie aber immer rechts, weil Sie Rechtshänder sind, aber, nun gut, es wird schon richtig sein – schließlich ist es ja eine fremde Sprache, vielleicht macht man es da so – und Sie geben sich ordentlich Mühe, umzulernen, weil es von Ihnen verlangt wird. Aber es fühlt sich eigentlich nicht wirklich gut an.
So ging es den linkshändigen Kindern bis in die 1970er-Jahre...