»Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.« Francis Picabia
Im Taiji ist nicht nur der Kopf rund, sondern auch der Körper – damit das Qi in seinem Fluss die Richtung wechseln kann. Es ist faszinierend zu erleben, wie durch die Übung des Taiji – den Körper in Spiralen zu bewegen – alles rund wird, und selbst die gerade Bewegung, als kürzester Weg zum Ziel, zu rotieren beginnt. Natürlich – leider – nicht von selbst, sondern durch überlegte und wohl-gespürte Eingriffe, die den rechten Winkel durch das dreidimensionale Verständnis der Bewegungsmöglichkeit erweitern. Da liegen dann die ›Knackpunkte‹ für die Entwicklung und den Einsatz der Inneren Kraft.
Der Ellbogen ist ein solcher Knackpunkt. Das Ellbogengelenk besteht aus drei Teilgelenken und kann dadurch unterschiedliche Bewegungen ausführen. Jeder einzelne führt diese Bewegungen täglich unzählige Male aus, selten jedoch zu einer einzigen, synchronen Bewegung zusammengefügt – außer im Taiji, bei der Armspirale, deswegen fällt sie auch so schwer …
Zwei der Teilgelenke im Ellbogen sind ein Scharnier- und ein Kugelgelenk.
Das Scharniergelenk erlaubt die Flexion und Extension des Unterarms, die sowohl horizontal als auch vertikal ausgeführt werden kann. Diese Bewegung kann große Kraft entfalten, z.B. beim Holzhacken oder beim Schlagen auf einen großen Gong; jeder Krafteinsatz, der die Bewegung eines Gegenstands zum Ziel hat, nutzt diesen Beugungs-Streckung-Mechanismus.
Das Kugelgelenk erlaubt das Drehen des Unterarms, also von Elle und Speiche umeinander, dadurch wird das Umwenden der Hand ermöglicht (Pronation – Innendrehung und Supination – Außendrehung). Diese Art der Bewegung, das Drehen des Unterarms, nutzen wir im Alltag ständig – beim Öffnen eines Schraubverschlusses, beim Glas-zum-Mund-führen, oder beim Auf- und Zuschließen des Türschlosses.
In vielen Bewegungen, z.B. im Sport, sind Beugung bzw. Streckung mit der Unterarmdrehung kombiniert; beim Golf oder Tennis beispielsweise ist der optimale Schlagvorgang immer spiralig. Die Kombination von Beugen und Strecken mit der Unterarmdrehung ergibt die Spiralbewegung, diese ist effizienter als Beugung und Streckung alleine. Im Inneren Taiji wird die Spiralbewegung der Arme erlernt, damit die Innere Energie als Innere Kraft nach außen eingesetzt werden kann.
Schwierig ist zum einen, die Spiralbewegung auszuführen und zum anderen, durch sie die Kraft einzusetzen, die den Gegner entwurzeln kann. Hier kommt unser mechanistisches Weltbild ins Spiel, das unser Verständnis von Körperkraft prägt: Eigene Kraft wird nur empfunden, wenn sie einen Widerstand spüren kann, und je größer der Widerstand ist, desto stärker wird die Streckung (beim Schieben) oder Beugung (beim Ziehen) eingesetzt. Wenn dabei Unterarmdrehung im Spiel, so ist das Ellbogengelenk äußerst angespannt.
Um diese Kraft geht es im Taiji nicht – weil es äußere Kraft ist. Es geht darum, die Ellbogen so locker zu halten, dass der Unterarm, sich drehend, eine Beugung oder Streckung des Armes bewirken kann – eben eine Armspirale. Anders gesagt, die Ellbogen müssen immer eine Kreisform umspielen, also sich heben oder senken ohne die Schultern oder Schulterblätter mitzubewegen.
Und noch etwas spielt sich im runden Kopf ab: Das gedankliche Ausblenden des Partners oder Gegners, damit der Mechanismus Kraft = Gegenkraft nicht einsetzen kann. Vielleicht hilft dabei die Vorstellung, den anderen zu umarmen statt ihn aus dem Weg zu räumen (denn liebevolle Umarmung mit angespannten Ellbogen geht sicherlich nicht). Wem dies zu esoterisch erscheint, der kann den anderen auch umgarnen, also seine Arme wie ein Garn einsetzen, in diesem Bild ist immerhin auch die kämpferische Intention erhalten.
Die Fähigkeit, beide Ellbogengelenke so einzusetzen, dass eine Spirale entsteht, ist nach meiner Erfahrung das Hauptmerkmal des Inneren Taiji. Bei der Suche nach Beispielen in Videos, findet man diese Fähigkeit kaum, aus diesem Grund arbeiten wir in der Akademie auch so hart an dem Paradox, durch lockere Ellbogen große Innere Kraft zu erlangen: damit dieses Merkmal nicht aus dem Taiji verschwindet. Im Ellbogen steckt sehr viel Kraft, die man, zum eigenen Vorteil und Nachteil für andere einsetzen kann (Ellbogenmentalität); man kann die einzigartige Fähigkeit zu zwei grundverschiedenen Bewegungen aber auch nutzen, um rund in die Welt einzugreifen, sie quasi zu umarmen, und sich einzubinden in die Spiralstruktur der Natur, die uns im Innen (Doppelhelix) und im Außen (kosmische Spiralen) bestimmt.