Macher und Mensch

05. August 2022 | Frieder Anders | Macher und Mensch

Wir haben uns eine große Illusion erschaffen davon,
wie man Leben ›machen muss‹, um sicher zu sein.
(D. Scharnweber)

 

»Macher und Mensch« war – wenn ich mich richtig erinnere – vor Jahren ein Slogan auf einem Wahlplakat im hessischen Wahlkampf, der mir im Kopf geblieben ist. Ich weiß nicht mehr, wer es war, der mit diesem Slogan auf sich aufmerksam machen wollte; ich kann mich nur noch an den Ausdruck erinnern. Offenbar wollte der Politiker ausdrücken, dass er anpacken kann und zugleich seine ›Menschlichkeit‹ bewahrt hat. Trotzdem sozusagen – als wäre es ein Widerspruch, Mensch und Macher zugleich zu sein.

Der Macher, der rastlos Schaffende, der ständig Fortschritt will, ist in unserer Kultur noch immer das Idealbild für einen Politiker oder erfolgreichen Menschen. Er soll sein Heil und seinen Lebenssinn in Wohlstand und Sicherheit suchen und nie aufhören, irgendein Wachstum zu produzieren. Der Macher folgt dem biblischen Befehl »sich die Erde untertan« zu machen und hat damit die Erde selbst zugrunde gerichtet. Schon 1972 warnte der Club of Rome vor den ›Grenzen des Wachstums‹ – doch natürlich wurde er von den Machern dieser Welt jahrelang ignoriert. Heute sehen wir die Konsequenzen: Am 28.07.2022 war der Erdüberlastungstag. Die Welt hatte all die Ressourcen verbraucht, die von der Erde auf natürliche Weise regeneriert werden können. Für Deutschland war der Tag schon im Mai erreicht. Dank dem Machertum leben wir weit über unsere Verhältnisse.

Und tatsächlich ist dieses Ideal der rastlosen Aktivität und des ständigen Fortschreitens auch schlecht für den Menschen selbst: Ein Macher überlastet sich ohne Unterlass mit seinen Geschäften und vernachlässigt die andere Seite der Existenz, das untätige Dasein. Seinen persönlichen ›Menschüberlastungstag‹ versucht er durch Abhängen, Chillen, Wellness, Urlaub zu vermeiden. Er sucht ein Dolce far niente, das süße Nichtstun, aber eigentlich nur, um die Ressourcen zu schonen, damit wieder genug Energie da ist, um etwas zu macht. Entweder tut er etwas – oder er tut nichts. Dazwischen gibt es nichts. Es gibt nur Verausgaben oder Regenerieren – entweder Macher sein oder Mensch.

Sein und Tun

Wie kann es denn anders gehen? Das Problem des Machertums besteht darin, dass sie unfähig sind, Sein und Tun auf eine sinnvolle Art und Weise zu verbinden. In Wahrheit ist es beides, was der Mensch braucht. Die Bewegung und Aktivität verschaffen ihm eine Herrschaft über die Welt, sodass er überleben kann und nicht wie ein Stein den Einflüssen der Umwelt völlig ausgeliefert ist. Handeln hält das Leben in seinem Gang.

Auf der anderen Seite aber gibt es einen ruhenden Pol. Im Denken des Ostens wurde dieser ruhende Pol, der das Sein ausmacht, mit dem zeitlosen, raumlosen und bewegungslosen Selbst gleichgesetzt. Was man selbst ist, erfährt man nur im Nichthandeln. Man muss still werden, um die Seele hören können.

Die Kunst besteht gerade darin, das eigene Tätigsein nicht bis zur Überlastungsgrenze auszuweiten und dann einen Burnout-Vermeidungs-Wellness-Tag einzulegen; vielmehr ist unser Körper – wie es Fred Alan Wolf einmal ausdrückte – im Idealfall ein »Ausdruck einer ständigen Oszillation zwischen Tun und Sein, der Schöpfung und dem Ausruhen von der Schöpfung.« (Fred Alan Wolf: Körper, Geist und neue Physik, Insel, 1993, S. 331).

Atmen – tun und sein

Atmen ist eine Einheit von Tun und Sein; er geht von selbst und kann willkürlich gesteuert werden. Im Schlaf merken wir, dass wir einfach so atmende Wesen sind. Wir können uns dem Atmen überlassen und brauchen ihn gar nicht zu kontrollieren, um weiterzuleben. Wird der Atem aber als als Mechanismus verstanden, der kontrolliert und optimiert werden muss, dann überwiegt das ›Tun‹ vor dem ›Sein“ und man entwickelt Atemtechniken, um diesen Teil des Körpers zu beherrschen.

Die Daoisten haben einen Weg gefunden, diese beiden gegensätzlichen Arten zu verbinden, wie man mit seinem Körper umgehen kann. Sie entwickelten das Konzept des wei wu wie, das man mit „Tun ohne Tat“ oder „Das Nicht-tun tun“ übersetzen kann. Es ist ein Weg, der es erlaubt, tätig zu sein, ohne sich ganz der Seite des „Machens“ zu verschreiben und alles kontrollieren zu wollen. Man gibt dem Aspekt des „Seins‹ im Tun Raum und fördert nur, was von selbst entsteht, anstatt alles herstellen zu wollen.

Wie das geht, lernen Sie im Taiji und Qigong, diesen daoistischen Wegen, die Ruhe und Bewegung, Sein und Tun verbinden. Es entwickelt sich innere Kraft und Lebensfreude – und hilft sogar bei Atemnot.

Im neuen Trimester wird zum ersten Mal der Kurs ›AtemtypQigong im Sitzen‹ angeboten. Er findet ab dem
10. Oktober 2022 montags um 20.30 Uhr statt.

Erfahren Sie das Wuwei des Atmens in der Stille. Seien Sie mehr Mensch als Macher!