Warum es sich lohnt,
den Atemtyp zu überprüfen
Eine Einladung an alle, die mal Tai Chi in der ITCCA gelernt haben
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In der chinesischen Kunst war es Tradition, dem Meister zu folgen, seine Werke zu kopieren und diesen mit den eigenen möglichst nahe zu kommen. Erst wenn die künstlerische Technik beherrscht wurde, konnte der Künstler daran denken, selbst kreativ zu werden und die vorgegebenen Muster zu variieren. In der Peking-Oper beispielsweise ist alles, jeder Schritt, jeder Tonfall, die Mimik vorgegeben und die Qualität der Aufführung wird an der akkuraten Kopie der traditionellen Vorgaben gemessen. Wenn ein Darsteller jedoch im richtigen Moment mit vielleicht nur einem einzigen Schritt aus der alten Choreografie ausschert, wird er für seinen Mut und seine Kreativität gefeiert. Das gilt allerdings nur, wenn er sich bereits als Meister der Tradition gezeigt hat.
Die Peking-Oper ist eine Parabel für die traditionelle Bewegungskunst Tai Chi: Der Schüler folgt dem Meister durch Imitation seiner Bewegungen und Körperhaltung. Gut und richtig ist sein eigenes Tai Chi dann, wenn es im Einklang mit dem Lehrer und dessen Tradition steht. Aber unzählige Varianten des Tai Chi sind durch Ausscheren entstanden, weil sich ein Schüler entweder bewusst gegen seinen Lehrer in eine andere Richtung weiterentwickelt hat oder aber die Vorgaben seines Lehrers nicht umsetzen konnte und so unabsichtlich vom Vorbild abwich. Solche Schüler vollzogen den »neuen Schritt«, wie er in der Peking-Oper bejubelt wird. Die meisten taten das, weil sie den Anforderungen nicht gewachsen waren – sie scherten also aus, bevor sie das Alte gemeistert hatten, bevor sie die eigene Innere Kraft beherrschten. Deswegen gibt es heute überwiegend »Äußeres Tai Chi«, weil viele Meister und Lehrer die Innere Kraft für sich noch nicht gefunden haben.
Meister K.H. Chu beispielsweise, mein Lehrer für 26 Jahre, lernte bei Großmeister Yang Shouzhong. In Jahrzehnten des Trainings gelang es K.H. Chu nicht, in der vorgeneigten Haltung, die ihm sein Lehrer vermittelte, die wahre Innere Kraft zu entfalten. Der Grund, den beide nicht wussten: Yang Shouzhong war ein Ausatmer, K.H. Chu jedoch ein Einatmer. Erst nach dem Tod des Meisters wagte er es, von dessen Vorbild abzuweichen. Seiner Körperintuition folgend, richtete er seine Haltung immer mehr auf und entwickelte wahre Meisterschaft. Den Weg dahin wies ihm sein Atem. Der Antrieb waren das Unbehagen am Gelernten und der Wunsch, die »pure internal energy« endlich zu finden. (Ich hatte Glück, weil ich auch ein Einatmer bin und so durch Nachahmung von ihm lernen konnte.)
Allerdings ist die Abweichung von der Tradition für ihn ein Tabu-Thema: Befragt, warum sein Lehrer schräg gestanden habe, er, Meister Chu, jedoch aufrecht stehe, antwortete er: Meister Yang habe sich »verstellt«. Auch eine Antwort. Nun, immerhin wahrt man so das Gesicht und hält die Schüler beisammen. Die Motivation mag ehrenwert sein, aber ich bin der Ansicht: Sie haben Besseres verdient.
Warum Atemtyp-Tai-Chi?
Die äußere Bewegung des Körpers ist eng mit der inneren Bewegung des Atems verbunden. Menschen, die ihre Kraft aus dem Einatmen schöpfen, können ihre Fähigkeiten im Tai Chi am besten in aufrechter Haltung entwickeln. Ausatmer/innen hingegen werden nur in leicht geneigter Haltung zur Inneren Kraft finden. Ein Unterschied, der den großen Meistern der Tai-Chi-Tradition weder bekannt noch bewusst war und den erst die Lehre der Atemtypen vor rund 70 Jahren in Deutschland ans Licht gebracht hat. Die Tradition, dem Meister zu folgen, war in China eben stärker als der Wunsch, die durchaus wahrgenommenen Unterschiede zu systematisieren.
Die Crux eines Tai Chi, das sich heute allein auf die Tradition beruft (›authentisches Tai Chi Chuan‹) und diese verabsolutiert, liegt darin, dass vielen aufrichtig Bemühten der Durchbruch nicht gelingt, weil sie einen Lehrer vom anderen Atemtyp imitieren. Die Forschungs- und Lehrpraxis der Taiji Akademie zeigt seit vielen Jahren:
Die Innere Kraft kann tatsächlich nur entwickelt und eingesetzt werden, wenn der oder die Praktizierende sich dem Atemtyp entsprechend bewegt und atmet.
Weiterhin könnte man fragen, ob der chinesische Weg, dem Meister bzw. der Tradition bedingungslos zu folgen, in unsere Kultur passt: In unserem westlichen Denk- und Wertesystem steht nicht nicht die Verehrung der Ahnen an erster Stelle, sondern die Individuation (Oscar Wilde: »Ziel des Lebens ist Selbstentwicklung. Das eigene Wesen völlig zur Entfaltung zu bringen, das ist unsere Bestimmung«); oder mit Nietzsches Worten: »Der Schüler vergilt es seinem Lehrer schlecht, wenn er auf ewig dessen Schüler bleibt.« Aus Sicht der Lernenden bedeutet das, das subjektive Empfinden des ›eigenen Wesens‹, höher zu bewerten als den von außen vorgegebenen Weg zur Inneren Kraft. Nur über die Frage »Was ist stimmig für mich?« gelangt man im Tai Chi wirklich zu sich selbst.
Atemtyp-Taiji für Fortgeschrittene und Umstiegswillige
Für Menschen, die Tai Chi schlicht als Entspannungsmethode praktizieren wollen, sind die Unterschiede der Atemtypen vernachlässigbar. Wer den Weg des Tai Chijedoch ernsthaft beschreiten möchte, um sich seine Innere Kraft zu erschließen, ist auf eine Ausbildung gemäß seines Atemtyps angewiesen. In der Taiji Akademie wird deshalb zu Beginn des ersten Kurses der Atemtyp jedes Schülers und jeder Schülerin individuell bestimmt. Alle Kurse der Akademie sind auf die motorischen Feinheiten beider Atemtypen abgestimmt.
Wer umsteigen will und zuvor einen anderen Stil praktiziert hat, sollte die Form von Grund auf neu lernen. Gleiches gilt für Übende der Yang-Tradition, die bisher nicht gemäß ihrem Atemtyp unterrichtet wurden. Wer bereits den Yang-Stil übt, wie er in der ITCCA gelehrt wird (der ich ja 26 Jahre in Deutschland vorgestanden habe), findet bei uns Kurse, die speziell auf die Bedürfnisse und Anliegen der Teilnehmenden eingehen. Link special
Lohnt ein Umstieg?
Mit Hilfe der folgenden Aspekte können Sie einschätzen, ob ein Umstieg für Sie sinnvoll ist:
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Sie üben bereits mehrere Jahre konsequent Tai Chi, haben aber das Gefühl, sich nicht wirklich weiterzuentwickeln.
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Ihre Körperhaltung neigt unbewusst dazu, von der im Kurs vermittelten Haltung abzuweichen – wenn Sie ganz ehrlich sind und Ihre Körperintuition ernst nehmen. Entweder zeichnet sich Ihr Lehrer durch eine sehr aufrechte Körperhaltung aus, während Sie selbst einen Hang haben, sich nach vorne zu neigen. Oder umgekehrt.
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Sie haben beim Üben immer wieder den subtilen Eindruck, dass irgendetwas Ihren Atem blockiert und er nicht völlig natürlich fließt.
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Sie machen rein technisch betrachtet alles richtig, aber Ihrer Praxis fehlt der natürliche Flow.
Wenn mehrere dieser Punkte auf Sie zutreffen, lohnt es sich, über einen Umstieg nachzudenken. Rufen Sie uns an. In einer einmaligen Privatstunde können Sie gemeinsam mit Meister Frieder Anders Ihren Atemtyp entdecken. Es kann sein, dass Sie bisher nicht gemäß Ihrem Atemtyp unterrichtet wurden. Dann wird Ihnen Ihr Atem den Weg zur Inneren Kraft weisen.